Abbé Saunière

Das Geheimnis um Rennes-le-Château ist eng mit dem Abbé Saunière verknüpft, der im Jahre 1885 in das abgelegene Dorf versetzt wurde. Bis zum Jahr 1891 bezog er das für einen Landpfarrer seiner Zeit übliche - und nicht gerade üppige - Gehalt von durchschnittlich etwa einhundertfünfzig Francs im Jahr. In diesen ersten Jahren führte er ein ruhiges, ländliches aber scheinbar nicht unangenehmes Leben. Das 18jährige Bauernmädchen Marie Dénarnaud wurde seine Haushälterin und blieb zeitlebens seine Gefährtin und Vertraute. Sehr engen freundschaftlichen Kontakt pflegte er mit dem Abbé Henri Boudet, seinem Kollegen im Nachbardorf Rennes-les-Bains.

Doch nach Beginn der Restaurierungsarbeiten in der kleinen Kirche und dem zufälligen Fund der alten Pergamente in den Altarsäulen, wurde das Leben des Abbé Saunière sehr viel bewegter und interessanter. In Paris, wohin ihn sein Bischof zur Entschlüsselung der alten Dokumente geschickt hatte, wurde Saunière sofort in den engeren Kreis um Emile Hoffet und Emma Calvé aufgenommen, von denen bekannt ist, daß sie esoterischen Lehren anhingen und freundschaftliche Beziehungen zu verschiedenen, dem Okkultismus nahestehenden Sekten und Geheimgesellschaften pflegten.

Emma Calvé war die Callas ihrer Zeit und eine Hohepriesterin der esoterischen Subkultur von Paris. Zwischen ihr und Saunière entwickelte sich eine langjährige Freundschaft. Auch verstummte nie das Gerücht, sie sei seine Geliebte gewesen. Erwiesen ist auf jeden Fall, dass sie ihn in den späteren Jahren häufig in Rennes-le-Château besuchte.

Sicher ist auch, daß der Abbé, nachdem er aus Paris zurück war, keine Geldsorgen mehr hatte. Genau das Gegenteil war der Fall. Er war jetzt reich und verfügte über scheinbar nicht erschöpfende Geldquellen. Neben der Restaurierung der Kirche, die er ganz persönlich überwachte und exakt nach seinen Vorstellungen ausführen ließ, gab er den Bau einer prächtigen Villa in Auftrag, ließ einen Tiergarten mit umlaufender Orangerie anlegen und realisierte 1907 den Bau eines mächtigen Wehrturms, des "Tour Magdala", der weithin sichtbar über dem Dorf thront.

Villa Bethania Blick auf die gesamte Anlage Tour Magdala Orangerie

All das kann noch heute bei einem Besuch in Rennes besichtigt werden. Es ist ganz unvorstellbar über welchen Reichtum der Abbé seinerzeit verfügte, den er auch ganz unverhohlen zur Schau stellte. Es konnte also gar nicht ausbleiben, daß er Neid und Wut seines vorgesetzten Bischofs auf sich zog.

"Ich habe ihn suspendiert!" Seine Exzellenz begann zu zittern. "Von allen seinen Aufgaben habe ich ihn entbunden! Was blieb mir denn auch anderes übrig? Ich mußte doch davon ausgehen, daß er die wertvollen Meßkrüge oder die goldenen Kerzenleuchter aus Kirchenbesitz verkauft hatte ... oder einen anderen schwunghaften Handel mit dem Eigentum des Herrn betrieb! Dieser ... dieser ... verstockte Teufel wollte mir einfach nicht sagen, woher das viele Geld kam!"
   Der Bischof fummelte nervös die Bügel seiner Brille über seine drohend roten Ohren.
"Aber jetzt! Der Gipfel!" brauste er wieder auf.
   Pierre hatte eigentlich nicht erwartet, daß sein Gastgeber noch eine weitere Steigerung überleben würde, aber ... Bitte!
   "Dieser fürchterliche ... fürchterliche Mensch hat es doch tatsächlich gewagt, mich ... seinen eigenen, geliebten Bischof ... in Rom wegen seiner Suspendierung anzuschwärzen!" Er fiel vor Aufregung fast von seinem Thron. "Er hat es mit der Hilfe dieses ... dieses ... Dämons doch wahrlich geschafft, daß ein Gremium im Vatikan meine Entscheidung aufgehoben hat!" Seine Hände krallten sich in die gepolsterten Armlehnen. "Meine Anweisung ... einfach aufgehoben! Dieser ... dieser ... Satan!"

   Jetzt war es um seine Beherrschung geschehen. Er sprang auf und stellte sich vor Pierre, rüttelte ihn an den Schultern hin und her und tobte. "Die haben diesem verkommenen Landpfarrer ... diesem ... Teufel im Priestergewand mehr geglaubt, als mir ... dem ehrenwerten Bischof von Carcassonne ... dem bescheidensten Knecht unseres Herrn Jesus Christus!"
   Wie von der Tarantel gestochen sprang Seine dicke Exzellenz um das güldene Tischlein herum und riß dabei seine Hände in die Höhe. "An welche verfluchten Mächte der Hölle hat er seine Seele verkauft? "Keuchend und leichenblaß klammerte er sich wankend an die hohe Rückenlehne seines Throns.

Umgerechnet in heutige Werte hat Saunière mehr als eine Million Euro für seine Projekte ausgegeben. Die von Kirchenseite verbreitete Ansicht, er habe dieses Geld durch einen schwunghaften Handel mit Messen verdient, kann nicht wirklich überzeugen. Möglicherweise hat er sich auch diese Einkunftsquelle erschlossen - er führte akribisch Listen, die dieses belegen - jedoch hätte er dadurch in jedem Fall nur einen kleinen Anteil seines ungeheueren Vermögens anhäufen können.

Neben seiner regen Bautätigkeit, tat Saunière auch viel gutes für seine Pfarrkinder und die Gemeinde. So ließ er die Straße hinauf nach Rennes ausbauen und befestigen - die heutige Grand Rue trug früher mal seinen Namen - und eine Wasserleitung ins Dorf legen. Er war daher trotz aller Gerüchte um sein Geld und sein Verhältnis zu Marie Dénarnaud nicht unbeliebt im Dorf. Auch gab er große Feste und lud zu seinen Banketten berühmte Persönlichkeiten ein. Darunter waren der französische Kultusminister, Emma Calvé und der Erzherzog Johann Salvator von Habsburg. Offizielle Bankberichte belegen, daß letzterer ihm mindestens einmal eine beträchtliche Summe überwiesen hat.

Ebenfalls belegt ist seine Wiedereinsetzung in sein Priesteramt, nachdem er sich, nach seiner Exkommunikation durch den Bischof, an den Vatikan direkt gewandt hatte.

Am 17. Januar 1917 erlitt Abbé Saunière einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholte und am 22. Januar 1917 verstarb.

urprüngliche Grabstelle Saunières Herz an Marie Dénarnauds Grabstelle Saunières Grabstelle seit 2004 Grabplatte seit 2004

Aber auch sein plötzlicher Tod ist geheimnisumwittert. Warum beauftragte er bereits am 12. Januar - er erfreute sich anscheinend noch bester Gesundheit - seine Haushälterin einen Sarg für ihn in Auftrag zu geben? Auch verstummt die Geschichte nicht, daß der Priesterkollege, der ihm die Letzte Ölung geben sollte, ihm diese nach seiner Beichte verweigert haben soll. Man erzählt sich, er habe leichenblaß und fluchtartig das Haus verlassen, und niemand will ihn seit diesem Tag jemals wieder lächeln gesehen haben.

Zu seiner Alleinerbin hatte Saunière seine Haushälterin und Vertraute Marie Dénarnaud bestimmt. Sie lebte bis zu ihrem Tod in der Villa und starb am 29. Januar 1953 ohne je über das Geheimnis des Abbé gesprochen zu haben.

Das Dorf